Der Werkluftschutz

Der Werkluftschutz. (1937)

Grundsätzliche Gesichtspunkte für den Werkluftschutz.

Auf dem ungestörten Gang der Produktion beruht sehr wesentlich die Wohlfahrt eines Landes im Frieden und die Widerstandskraft einer Nation im Kriege. Leidet die Bevölkerung Mangel an lebensnotwendigen Bedarfsmitteln oder fehlt dem kämpfenden Heere der Nachschub an Verpflegung und Kriegsgerät, so werden auf die Dauer auch die opferwilligste Bevölkerung und das mutigste Heer erschlaffen. Die ungehemmte Fortführung der Produktion in der Heimat für den Kampf der Fronten ist ebenso unentbehrlich wie die Zufuhr von Blut für den kämpfenden Arm.

In allen Kriegen ist deshalb versucht worden, diesen Gang der heimatlichen Erzeugung im Lande des Gegners irgendwie zu stören. Solange der Krieg in der horizontalen sich vollzog, waren die Mittel und Möglichkeiten hierzu gering. Durch den Eintritt des Flugzeugs in die Kriegführung sind sie jedoch ungeahnt erweitert worden. Bereits kurz nach Beginn des Weltkrieges wurden die ersten Angriffe aus der Luft auf industrielle und kriegswichtige Betriebe versucht, um die deutsche Produktion empfindlich zu treffen. Noch waren freilich die angerichteten Schäden gering. In den späteren Jahren verstärkten sich zusehends diese Störungsversuche. E ist bekannt, dass der Produktionsausfall durch die feindliche Fliegereinwirkung teilweise bis zu 30 % betragen hat. Schwere psychische Eindrücke auf die Gefolgschaft gingen damit Hand in Hand und bildeten Anlass zu erheblicher Sorge.

Die Möglichkeiten wirkungsvoller Angriffe auf industrielle Betriebe ist durch die technische Entwicklung der Luftfahrt in der Zwischenzeit wesentlich gesteigert worden. An Stelle einzelner Flugzeuge ist mit Geschwadern zu rechnen. Jedes einzelne Flugzeug wiederum schleppt eine weit größere Bombenlast mit sich, als es die Flugzeuge im Weltkriege vermochten. Es ist eine einfache Rechnung, welche Steigerung des Wirkungsgrades bei neuerlichen Luftangriffen auf deutsches Gebiet – und vor allem auf die deutsche Wirtschaft – veranschlagt werden muss.

Diese möglichen Einwirkungen auf die Wirtschaft sind nach der schon in den letzen Jahren des Weltkrieges einsetzenden, neuerdings immer mehr hervor tretenden Entwicklung des Krieges zum Materialkrieg für die Gesamtkriegsführung von einschneidender Bedeutung. Die Waffentechnik, die Motorisierung prägen der neuzeitlichen Kriegführung ihren Stempel auf. Sie verlangen ein ungeheures Maß an Nachschub von Material. Sie stellen erhebliche Ansprüche an die Kriegswirtschaft. Beeinträchtigung der kriegswirtschaftlichen Produktion kann unabsehbare Folgen für das Geschick einer Nation nach sich ziehen. Führer und Kämpfer an der Front müssten auch bei noch so rücksichtslosem persönlichen Einsatz in ihrem Widerstand erlahmen, wenn Führer und Kampfgenossen in der Industrie nicht rechtzeitig alle personellen und materiellen Maßnahmen getroffen haben, um den Gang der Betriebe auch unter noch so ungünstigen Umständen aufrechtzuerhalten.

In Deutschland steigert sich die Bedeutung dieser Tatsache noch angesichts der geographischen Lage der hauptsächlichen Wirtschaftsgebiete. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Industriereviere Deutschlands dicht an den Grenzen, jedenfalls in einer für Flugzeuge der Nachbarstaaten im Nahangriff erreichbaren Zone liegen.

Die Grundlage der Wirtschaft bilden Kohle und Eisen. Der deutsche Kohlenbergbau umfasst – vom Westen ausgehend betrachtet – das Aachener Steinkohlerevier, das niederrheinisch –westfälische Steinkohlerevier, in dem rund 80 % der gesamten deutschen Steinkohleproduktion gefördert wird, das Saarbrücker Steinkohlelager, das Waldenburger oder niederschlesische Steinkohlebecken, den oberschlesischen Steinkohlebergbau und schließlich das Zwickau-Ölsnitzer Kohlenrevier. Alle diese Reviere sind in Grenzgebieten gelegen.

Die Braunkohle findet sich vornehmlich in der Rheinprovinz, in der Provinz Sachsen und in der Niederlausitz. Auch diese Gegenden liegen in der Nahangriffszone der Luftstreitkräfte der Nachbarstaaten.

Die Erzgewinnung wird im Siegerland, im Lahn- und Dillbezirk, sodann in der Gegend bei Peine im wesentlichen betrieben. Die Roheisen- und Rohstahlgewinnung haben ihre Mittelpunkte im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, im Sieg-, Lahn- und Dillkreis, zum kleinem Maße in Schlesien, in Sachsen und in Süddeutschland. Auch diese Stätten der Erz-, der Rohstahl- und Roheisengewinnung sind mit einer Ausnahme (Peine) im Nahflug erreichbar.

Neben der ungestörten Arbeit der Urproduktion sind für die Aufrechterhaltung der Gesamtwirtschaft die Versorgungsbetriebe von ausschlaggebender Bedeutung. Aus Gründen rationeller Wirtschaftsführung liegen nun diese Großversorgungsbetriebe, insbesondere die Großkraftwerke und die zentralen Gaserzeugerbetriebe, unmittelbar im Kohlengebiet. Sie sind damit wie diese in gleichem Maße gefährdet.

Greift man noch als weiteres wichtiges Produktionsgebiet die chemische Industrie heraus, so ergibt sich das gleiche Bild. Die großen chemischen Betriebe befinden sich geballt im Ruhrrevier, bilden einen wichtigen Teil des südwestlichen Industriedreiecks um Frankfurt Main und Mannheim und ziehen sich in breiter Front von Mitteldeutschland nach Sachsen hinein. Auch sie sind für Luftstreitkräfte mit Leichtigkeit erreichbar.

Bei fast allen oben genannten Betrieben kommt eine örtliche Verlegung in weniger gefährdete Landesteile schon aus technisch / farbrikatorischen Gründen im allgemeinen nicht in Frage. Im übrigen sind ja bekanntlich schon heute kaum noch Landesteile in Deutschland zu ermitteln, für die man einen geringen Grad an Luftbedrohung annehmen kann. Bei der ständig gesteigerten Leistungsfähigkeit der Kriegsflugzeuge muss damit gerechnet werden, dass selbst diese Annahme einer geringen Luftbedrohung in absehbarer Zeit gegenstandslos werden wird.

Die planmäßige Durchführung eines Werkluftschutzes unter Ausnutzung aller gegebenen Möglichkeiten ist mithin für Deutschlands Wirtschaft unumgängliches Gebot der Selbsterhaltung. Der Werkluftschutz muss wegen Art und Umfang der in Betracht zu ziehenden Maßnahmen daher im Frieden soweit irgend erreichbar praktisch durchgeführt sein. Es ist zuzugeben, dass hierbei häufig Schwierigkeiten, namentlich in wirtschaftlicher und betrieblich organisatorischer Hinsicht entstehen können. Auch im Werkluftschutz wären Forderungen, welche die Lebens- und Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft dem Ausland gegenüber wesentlich beeinträchtigen könnten, von vorne herein undurchführbar. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben aber gezeigt, dass bei sorgfältiger und gründlicher Nachprüfung aller Umstände stets Wege vorhanden sind, um das gesteckte Ziel zu erreichen.

Es bedarf bei der engen Verflechtung von Volk und Wirtschaft keiner weiteren Begründung, dass die Staatsführung größtes Interesse an der Durchführung des Werkluftschutzes nehmen muss. Ihm einzelnen behördlich durchzuführen, würde aus wirtschaftlichen und verschiedenen Gründen schwierig sein. Entsprechend der Verschiedenartigkeit der Betriebe sind auch die technischen Schutzmaßnahmen durchaus unterschiedlich. Sie lassen sich im wesentlichen nur vom technischen Fachmann, ja zumeist nur von der jeweiligen Betriebsleitung selbst richtig beurteilen und zweckmäßig ausführen. Werkluftschutz kann also nicht von außen schematisch angeordnet werden, sondern muss nach den Erfordernissen der einzelnen Betriebsgattungen, ja sogar Betreibe, entwickelt werden. Gewisse Erfahrungen, organisatorische wie auch insbesondere technische Grundbedingungen müssen freilich gleichmäßige Beachtung finden, damit das Zusammenwirken des zivilen Luftschutzes in seiner Gesamtheit gesichert ist. Zu diesem Zwecke ist auch für den Werkluftschutz behördliche Einflussnahme unentbehrlich. Da im Gefahrenfalle engste Zusammenarbeit zwischen Werkluftschutz und den übrigen Teilen des zivilen Luftschutzes Voraussetzung für dessen Wirksamwerden ist, kann der Werkluftschutz nicht eine vom übrigen Luftschutz losgelöste Organisation darstellen, sondern muss sich als Glied in den Gesamtrahmen einfügen.

Der Reichsgruppe Industrie ist daher in der I. Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz vom 4. Mai 1937 (RGBL. I. S. 559) die Leitung der Durchführung des Werkluftschutzes nach den Weisungen des Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshabers der Luftwaffe übertragen. Ihr stehen hierfür als Außenstelle so genannte Werkluftschutzbereichs-, Bezirks- und Ortsvertrauensstellen, im einzelnen Werk oder Betriebsführer und der Werkluftschutzleiter zur Verfügung. Über Aufbau und Aufgaben dieser Stellen ist in einem anderen Abschnitt dieses Werkes Näheres gesagt.

Die Eigenart und Ausdehnung des Werkluftschutzes machen es notwendig, dass die Werkluftschutzdienststellen mit allen Stellen, deren Arbeitsgebiet der zivile Luftschutz, insbesondere aber der Werkluftschutz berührt, stets engste Fühlung halten müssen. Als solche seien hier angeführt von der Luftwaffe die Luftkreis- und Luftgaukommandos, die Wehrwirtschaftsdienststellen, die Wehrersatzdienststellen, die Obersten Landesbehörden sowie deren nach geordnete Stellen, die Landesplanungsstellen und andere mehr.

Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Werkluftschutzmaßnahmen auf das durch den Vierjahresplan gesetzte Ziel ausgerichtet und dadurch auch zeitlich weit stärker als ursprünglich vorgesehen zusammengedrängt werden müssen.

Dabei bedingt die ständige Weiterentwicklung des zivilen Luftschutzes und gerade des Werkluftschutzes ein laufendes Anwachsen der Aufgabengebiete sowie die eingehende Kenntnis vielfältig auftretender technischer Fragen auf dem Gebiete des Bauwesens, des Brandschutzes, der Verdunkelung und Tarnung, der chemischen Kampfstoffe und des Gasschutzes, des Fernmeldewesens usw., um nur die wichtigsten der in Frage kommenden Zweige kurz zu erwähnen. Werkluftschutzmaßnahmen sind, soweit sich zur Zeit übersehen lässt, in rd. 15.000 Betrieben mit mehren Millionen Gefolgschaftsangehörigen zu treffen. Eine Übersicht über die innerhalb dieser Betriebe in Betracht zu ziehenden Werkluftschutzmaßnahmen kann nur durch Aufstellung eines Werkluftschutzplanes für jeden Betrieb gewonnen werden. Der Werkluftschutzplan muss sämtliche für den betreffenden Betrieb zur Gewährleistung des Werkluftschutzes in Betracht kommenden Vorhaben personeller und materieller Art sowie eine zeitgerechte Übersicht über den jeweiligen Stand ihrer Durchführung enthalten.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass auch die Bereitstellung der zu Verwirklichung der Einzelvorhaben erforderlichen Mittel in möglichst weitgehendem Umfang festzulegen ist.

Die fertig gestellten Werkluftschutzpläne müssen durch die vom Reichsluftfahrtministerium betrauten Stellen nachgeprüft und in ihren hierfür in Frage kommenden Teilen durch Werkluftschutzübungen erprobt werden. Dabei ist auf eine umfassende, unter möglichst wirklichkeitsnahen Verhältnissen vorzunehmende praktische Ausbildung sämtlicher für den Werkluftschutz benötigter Gefolgschaftsangehöriger größter Wert zu legen.

Die Sicherstellung der für diese erforderlichen Sonderausrüstungen sowie die Schaffung der zur möglichst ununterbrochenen Aufrechterhaltung der Produktion notwendigen betrieblichen Sondereinrichtungen in den Werken muss, soweit es die wirtschaftliche Lage der einzelnen Betriebe irgend zulässt, fortgeführt werden.

Unabhängig hier von müssen jedoch in jedem Betrieb Anweisungen darüber bestehen, was im Fall eines Luftangriffes vor vollständiger Durchführung der im Werkluftschutzplan vorgesehenen personellen und materiellen Vorhaben vom Betriebsführer wie jedem Gefolgsschaftsangehörigen zu veranlassen ist.

Die Ausführung selbst an sich schwieriger und mit mehr oder minder großen Kosten verbundener Werkluftschutzmaßnahmen ist wesentlich gefördert durch die von der Reichsregierung bereits im Herbst 1933 gewährte Möglichkeit der Absetzung alle Aufwendungen für Werkluftschutzzwecke vom steuerpflichtigen Gewinn, weiterhin durch die Gewährung besonderer Zuschüsse für einen Teil der auf dem Gebiete des Werkluftschutzes in Betracht kommenden Bauvorhaben. Ferner ist die eine ständige unmittelbare Einwirkung auf die einzelnen Werke erfordernde Tätigkeit der oben erwähnten Werkluftschutzdienststellen erheblich erleichtert durch die Bestimmungen der bereits erwähnten 1. Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz vom 4. Mai 1937. Sie verpflichten die Werkluftschutzbetriebe, zur Deckung der durch die Durchführung des Werkluftschutzes entstehenden Verwaltungskosten Beiträge zu leisten. Sie geben den Werkluftschutzdienststellen außerdem die Befugnis, die polizeiliche Heranziehung der Werkluftschutzleiter durch Vorschläge vorzubereiten sowie Ausbildungen und Übungen selbstständig im Werkluftschutz anzuordnen.

Das Mindestmaß der innerhalb eines bestimmten Zeitraumes von jedem zum Werkluftschutz gehörenden Betriebe vorzunehmenden Werkluftschutzarbeiten wird einstweilen durch so genannte „Arbeitspläne“ festgelegt, die nach Einholung der – im Einvernehmen mit den beteiligten Obersten Reichsbehörden erfolgenden – Zustimmung des Reichsministers der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe von der Reichsgruppe Industrie herausgegeben werden. Der Werkluftschutz eines Betriebes ist gewährleistet, wenn in ihm organisatorisch und technisch alle Vorbereitungen getroffen sind oder in kürzester Zeit abgeschlossen werden können, um eine Unterbrechung der Erzeugung durch Luftangriffe auf das nach der Eigenart des Betriebes überhaupt erreichbare Mindestmaß herabzusetzen.

Es wird eine der vornehmsten Pflichten der deutschen Wirtschaft sein, dem im nationalsozialistischen Staat von jedem Volksgenossen als Richtschnur zu betrachtenden Grundsatz: „Alles für Deutschland“ auch auf dem für ihren Bestand aller Voraussicht nach einmal entscheidenden Gebiete des Werkluftschutzes uneingeschränkte Geltung zu verschaffen.

Die Reichsgruppe Industrie musste also ebenfalls vordringlich aus möglichst sachverständigen Persönlichkeiten zusammen gesetzte Stellen schaffen, welche in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Reichsbehörden sowohl zu den vorliegenden Problemen sachlich Stellung zu nehmen wie Anregungen für die Durchführung der notwendigen Arbeiten zu geben in der Lage waren.