Gasmaske

Was geht eigentlich in der Gasmaske vor?

Das Folgende las ich in den Erinnerungen eines deutschen U-Boot-Kapitäns, der nach endlos langer und gefahrvoller Tauchfahrt endlich wieder das Tageslicht erblickte: „Ich atmete mit vollen Lungen die frische, kühle Seeluft ein und reinigte sie als vorsichtiger Mann durch ein paar Züge aus einer guten Zigarette.“

Damals, als ich das las, war ich sehr über diese Anschauung. Heute muss ich sagen: Der Mann hatte gar nicht so unrecht. Wir wissen ja alle, warum die letzten Züge einer Zigarette so viel schlechter schmecken als die ersten. Das Sieb aus gepressten Tabakfäden, dessen Poren ziemlich fein und dessen Gänge gewunden sind, dieses zylindrische Sieb, das die Zigarette, nüchtern betrachtet, darstellt, hält einen großen Teil des Nikotins und der schwer flüchtigen Bestandteile des Tabakrauchs zurück; und gegen Schluss, wenn dies natürliche Filter immer kürzer wird, und wenn nun auch die schon angefangenen Stoffe durch die nahende Glut wieder zersetzt werden, verliert er seine Wirkung.

Gasmaske_Funktion

Der Filterwirkung ist es zuzuschreiben, wenn Zigarettentabak aus der Pfeife so viel anders schmeckt als in Zigarettenform; und ein wenig vom Wesen der Gasmaske liegt also auch in diesem alltäglichen Gegenstand. Aber wir brauchen nicht einmal so weit zu gehen. Wir treten in eine staubige Mühle. Flimmender Tanz der schwirrenden Staubteilchen erfüllt den Raum, weiß glitzern sie im einfallenden Sonnenlicht. Schon beginnen wir zu niesen und zu spucken; wir merken auf einmal, auf drastische und unangenehme Weise, wie segensreich unsere Nase konstruiert ist. Auch sie ist ein Filter. Die feinen Härchen fangen Staub und Schmutzteilchen wie eine Sieb ab, und was die Härchen nicht besorgen, erledigt die Schleimhaut der Atmungswege. Auch in ihr setzten sich feine Teilchen ab. Und wahrscheinlich spielt diese Fähigkeit der Schleimhaut, winzig kleine Teilchen aus dem Luftstrom abzufangen und zu registrieren, keine geringe Rolle beim Riechen. Bedenken wir – der Geruchtssinn gehört zu den feinsten Sinnen, dies es gibt. Wenn ein Mensch mit einem bestimmten Parfüm eine Viertelstunde vor uns im Zimmer war – wer merken es doch. Bruchteile eines Milligramms Moschus, das im Raum verdampft ist, stellen wir mit Sicherheit fest – und bei alledem sind wir noch große Stümper, „Grobriecher“ gegen die Hunde! – kurz, unvorstellbar geringe Konzentrationen von Stoffen können wir wahrnehmen. Es ist fast so, als könnten wir die einzelnen Moleküle, die letzten Bausteine aller Stoffe, mit unserer Nase riechen.

Warum wir so viel von der Nase reden? Je nun – die Nase ist eine Gasmaske, nichts anderes.

Das Reichsheer z. B. stellt zu den Kraftfahrtruppen nur solche Leute ein, die einwandfreie „Nasenatmer“ sind Haarfilter und Schleimhäute also Staub und Fremdkörper mit Sicherheit ausschalten und ihnen den Zutritt zum Heiligtum der Lunge verwehren. Aber nicht immer reicht dieser natürliche Schutz aus. Steigt die Zahl der Staubteilchen über Gebühr an, sagen wir in einem der berüchtigten amerikanischen Staubstürme, dann versagt die Filterfähigkeit, und wir müssen zu einem zweiten Mittel greifen. Wir pressen z. B. ein Taschentuch gegen den Mund und atmen durch dessen feine Poren. Damit tun wir nichts anders, als wenn wir den Kaffee durch ein Sieb gießen: wir beziehen die Luft durch Öffnungen, die kleiner sind als die Staubteilchen.

Nun, diese winzigen, in der Luft schwebenden, im Sonnenlicht sichtbaren Körperchen sind nicht übermäßig groß. Ihr Durchmesser geht vielleicht bis zu einem tausendstel Millimeter herunter. Dennoch aber kann man sie durch genügend feine Poren rein mechanisch zurückhalten – hier liegt nicht das geringste Problem. Schwieriger wird es schon, wenn wir zu den Gasen kommen. Ein Gas besteht aus einzelnen, verschwindend kleinen Molekülen – jedes nicht größer als ein paar hundertmillionstel Zentimeter ! Es besteht nicht die geringste Aussicht, Filter mit genügend kleinen Poren zu bauen – und könnte man es, so würde eben die Luft auch nicht hindurchgehen, wir hätten ein Filter, das zwar kein Gas durchlässt, aber auch keine Atemluft. Niemand würde solch eine Maske gern anlegen.

Kehren wir noch einmal zur Nase zurück. Sie ist gegen Staubstoffe einigermaßen geschützt. Aber ,wie gesagt, es gibt Stoffe, gegen die unsere Nase nicht gefeit ist. Bei der Erschaffung des Menschen gab es noch kein Phosgen; man darf die Nase nicht tadeln, dass sie gegen den Feind Giftgas nicht gewappnet ist. Immerhin kann sie uns den Weg zum Schutz zeigen. Gase, die auf unsere Schleimhaut wirken, sei es nun ein Parfümdampf, sie es Chlor oder Tränengas, merken wir auch in geringer Konzentration – selbst wenn nur sehr wenig Moleküle vorhanden sind. Der Grund ist von der Physik schon seit langer Zeit erkannt worden. Die Moleküle eines Gases sind nicht still und ruhig – sie tanzen in rasender Zickzackbewegung, wie die Mücken eines drohenden Mückenschwarms hin und her. Blitzschnell geht diese Bewegung, und die Zickzackwege der GAsmolküle führen über ziemlich beträchtliche Strecken im Vergleich zu ihrer Größe. Das heißt, ein Gasmolekül durchquert eine Pore, einen engen Kanal nicht geradeaus und gesittet – seine Bahn gleicht mehr dem Weg eines Betrunkenen in enger Straße, der von einer Seite zur anderen schwankt und wieder und wieder an die Wand stößt. Gäbe es ein Mittel, das Gasmolekül an der Wand festzuhalten, die Wand gleichsam mit „Gasleim“ zu versehen – dann eröffnet sich eine Möglichkeit, auch die winzigen Gasmoleküle selbst einzufangen, obwohl die mechanische Aussiebung hoffnungslos versagt.

Glücklicherweise sorgt die Natur selbst für dies Mittel. Lassen Sie Wasser durch ein Glasrohr strömen –nachher kleben immer ein paar Tropfen an der Wandung. Die Adhäsion, die Anziehungskraft zwischen den Glas- und den Wassermolekülen, sorgt dafür, dass ein wenig Wasser festgehalten wird. Diese Adhäsionskraft ist ganz allgemein in der Natur verbreitet. Der Physiker weiß aus der Praxis, wie stark z. B. Glas auch Gase festhält. Man muss ein Glasrohr fast bis zum Glühen erhitzen, bevor die letzten Gasreste, die sich hartnäckig an der Wand festklammern, entfernt sind! Und es gibt Stoffe, die sich besonders hierin auszeichnen. Der bekannteste ist die Kohle. Und sie verdankt ihre „Absorptionsfähigkeit“, wie dies Einfangvermögen der Stoffe heißt, keiner besonderen Zauberkraft, sondern auch der Tatsache, dass die Kohle sozusagen „nur aus Wand“ besteht. Ein kleines Rechenexempel wird das klarmachen. Denken Sie an ein Haus von zehn Meter Länge, 10 Meter Tiefe und 10 Meter Höhe. Wie groß ist seine Wandfläche? Nun, jede Front hat offenbar 10 x 10 gleich 100 Quadratmeter Fläche; vier Wände haben wir – das ergibt 400 Quadratmeter. Eine glatte und richtige Rechnung? Aber fragen wir mal den Tapezierer – er wird Ihnen eine ganz andere Rechnung aufmachen! Denn er hat nicht nur an die Außenwände, sondern an die vielen Zimmerwände zu denken – und wenn das Haus nur je vier Zimmer in zwei Stockwerken besitzt, dann ergeben sich für die Innenwände schon 800 Quadratmeter! Die Kohle, die für unsere Gasmasken verwandt wird, ist im inneren unendlich fein zerklüftet und verteilt; sie ist ein „fester Schaum“, wie man wohl auch sagt, und diese innere Oberfläche der Füllung eines Kohlefilters beträgt viele tausend Quadratmeter! Eins der wesentlichen Merkmale bei der Herstellung der Filter ist es, diese Zerklüftung, die feine Verteilung möglichst weit zu treiben.

Gasmaske_halbfertig

Das ist also ein rein physikalischer Vorgang. Die ankommenden Gasteilchen werden von den Molekülen der Filterwand in Empfang genommen und unerbittlich festgehalten. Man kann diese Wirkung durch chemische Kräfte noch ergänzen, wenn man in das Filter poröse Massen bringt und sie mit Stoffen tränkt, die sich mit dem Gas verbinden. So wird z.B. Chlor von Kohle nicht genügend festgehalten; aber es verbindet sich leicht mit Natriumthiosulfat, dem Fixiersalz, das jedem Fotografen bekannt ist, oder Pottasche. Weshalb das geschieht, braucht hier nicht erörtert zu werden; es ist nun einmal so, dass sich manche chemische Stoffe mit anderen besonders leicht und gern verbinden.

Man kann sich darauf verlassen, zu jedem denkbaren Gas gibt es auch einen Absorptionsstoff, der es mit Sicherheit verschluckt! Und im Grunde sind die Kräfte, die dies Bindung bewirken, nicht anders geartet als die Absorptionskräfte der Kohle, es sind die elementaren Anziehungskräfte zwischen den Molekülen.

Der Teilchengröße nach zwischen den Gasen und dem Staub liegen Nebel und Rauch. Ein zehntausendstel bis ein hunderttausendstel Zentimeter messen die Teilchen dieser „Schwebestoffe“ im Durchmesser. Man sollte meinen, es müsse ein leichtes sein, nun, da wir sogar mit den Gasen fertig geworden sind, auch diese größeren und trägeren Teilchen abzufangen, aber leider ist es nicht so. Nebelteilchen, und sehr wirksame Kampfstoffe wie Blaukreuz sind bekanntlich von dieser Art, sind also eigentlich keine Gase mehr, passieren die normalen Filter fast ungestört. Sind zu groß, sie zeigen die rasche Zitterbewegung der Gasmoleküle nicht mehr, sondern schwanken nur noch leicht hin und her. Wie ein großes und schweres Schiff treiben sie auf dem Luftstrom einher und kommen mit den Porenwänden nicht in Berührung, können also auch nicht festgehalten werden. Hier hilft nur eines, man muss den Porenkanal eng und gewunden anlegen, dann geraten schließlich auch diese Schiffe auf Grund, stoßen die Nebelteilchen einmal auf die Wand, and der sie dann festgehalten werden. Diesem Zweck diente der „Schnappdeckel“ der ersten deutschen Gasmaske, der aus verfilzten Papier bestand. Heute baut man, ganz ähnlich, nur größer und wirkungsvoller ein Schwebstofffilter fest in die Maske ein. Immer noch aber beruht die Wirkung dieser, aus Zellstoff verfertigten Schutzwand darauf, dass ihre Porenkanäle gekrümmt und eng sind, und so die Schwebteilchen, ob sie wollen oder nicht, doch an die Wand geführt und festgehalten werden.

Quelle: Die Sirene – 1937, Heft Nr. 3 Abschrift und Übersetzung aus dem altdeutschen: Kai Ohlenbostel