Zwangsarbeiter

Die Zahl der bisher nachgewiesenen Zwangs- und Kriegsgefangenenlager auf Dortmunder Stadtgebiet liegt nach dem bisherigen Erkenntnissen des Stadtarchivs bei etwa 300. Allein im Mai 1943 waren in Dortmund laut Aufzeichnung des städtischen Ernährungsamtes rund 30.100 Ausländer interniert.

Aussenlager Dortmund des KZ Buchenwald und das Auffanglager Hüttenwerk auf dem Gelände des DHHV.

Über beide Einrichtungen im Einzugsbereich und auf dem Gelände des ehemaligen Dortmund-Hörder Hüttensvereins der u. a. für die Rüstungsindustrie des Dritten Reiches produzierte, ist noch wenig bekannt.

Den ersten Hinweis auf das KZ-Aussenlager Buchenwald in Dortmund im Bereich des DHHV findet man in dem 1949 vom International Tracing Service herausgegebenen „Catalogue of Camps and prisons in Germany and German-occupied territories“, wo es heißt: „Dortmund, CCKdo. of Buchenwald, women pris., Dortmund-Hoerder Hüttenverein AG, Geschoßfabrik, Rheinische Straße 173, established 2.10.44, 300 women, greatest strength of this Kdo. an 22.3.45, 650 women. In the last days of March 45 they were transferred to CC BergenBelsen (invoices, daily strength reports).“

Mit der Anschrift Rheinische Strasse wird als Arbeitsstätte der Zwangsarbeiterinnen die Geschossfabrik genannt. Das entsprechende Frauenlager – das Aussenlager Dortmund des KZ Buchenwald – befand sich auf einem Grundstück an der Huckarder Strasse (heute das Gebäude Nr. 111).

Der Dortmund-Hörder Hüttenverein (DHHV) gehörte seit 1926 zu den „Vereinigten Stahlwerken“, dem grössten Verband von Industriebetrieben in Deutschland, der von dem Dortmunder Grossindustriellen Albert Vögler geleitet wurde. Nach Zeitzeugenaussagen waren in dem Frauenlager 1944 300 weibliche Häftlinge, die aus dem Konzentrationslager Ravensbrück nach Dortmund verlegt worden waren, untergebracht. Weibliches KZ-Bewachungspersonal war zuvor in Dortmund angeworben und in Ravensbrück ausgebildet worden. Die bis zum März 1945 auf 650 angestiegene Häftlingszahl bezieht sich voraussichtlich auf die in der Geschossfabrik beschäftigten Arbeiterinnen, denn im Januar 1945 sollen sich insgesamt 745 Frauen im Aussenlager an der Huckarder Strasse befunden haben. Am 1. April 1945, nachdem es immer offenkundiger wurde, dass die US-Truppen Dortmund näher rückten, wurden die Zwangsarbeiterinnen nach Buchenwald, Bergen-Belsen und in andere Nebenlager „evakuiert“. Unter den Frauen befanden sich in der Mehrzahl Polinnen und Russinnen, darunter auch Frauen jüdischen Glaubens. Am 16. März 1945 sollen bei der Rückführung des Kommandos Dortmunder Hüttenverein während eines Fliegerangriffs 86 weibliche Häftlinge geflohen sein, wie der Bericht eines SS-Aufsehers wiedergibt. Eine starke Beschädigung der betrieblichen Anlagen durch Bombenangriffe war dagegen nicht eingetreten. SS-Angehörige begleiteten die bis zum 1. April 1945 verbliebenen 547 weiblichen Häftlinge bei der „Evakuierung“. Wie viele Frauen diesen Transport überlebt haben, ist nicht bekannt. Das Dortmunder KZ-Aussenlager bestand aus einem mehrgeschossigen Steingebäude, das durch einen unterirdischen Gang mit der Geschossfabrik verbunden war. Dieser Gang führte unter einem Werksbahngleis entlang. Die Fenster des Gebäudes waren vergittert, die nach aussen führenden Türen verschlossen. Laut Berichten der Staatsanwaltschaft waren im ersten Stock des Gebäudes vorwiegend polnische, im zweiten Stock vorwiegend russische Häftlingsfrauen untergebracht. Es waren jedoch auch weibliche Häftlinge aus Ungarn, Holland und Deutschland in dem Gebäude interniert. Ein Dokument belegt, dass sich am 30. November 1944 398 weibliche Häftlinge, davon 78 erkrankt, im Häftlingskommando für den Hüttenverein Dortmund, Huckarder Strasse 137, befanden, die von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr abends (eine Stunde Arbeitspause) arbeiten mussten. Das Durchschnittsalter der Frauen dürfte knapp unter 20 Jahren gelegen haben. Dies berichteten ehemalige weibliche Häftlinge aus Warschau anlässlich eines Besuches in Dortmund, den die Dortmunder Geschichtswerkstatt organisiert hatte. Die Arbeitsbedingungen in der Geschossfabrik der „Dortmunder Union“, die bereits im Ersten Weltkrieg Munition produziert hatte, wurden dabei genauer geschildert. Sie reichten von der Produktion von Bomben bis zum Granatendrehen. Was den Terror von Wachpersonal gegenüber den weiblichen Häftlingen anging, so ist dieser mit anderen Konzentrationslagern nicht zu vergleichen. Unmenschliche Misshandlungen bildeten in diesem Aussenlager – nach bisherigem Kenntnisstand – die Ausnahme. Im Hinblick auf KZ-Aussenlager in Dortmund ist weiter ein Hinweis überliefert, dass vorübergehend ab dem 31. März 1943 ein Teil der „Baubrigade III“, die dem KZ-Buchenwald unterstellt war, als „Sprengkommando Dortmund“ tätig geworden ist. 40 Häftlinge sollen diesem Kommando angehört haben. Weitere Quellenbelege für dieses eventuell zweite Aussenkommando des KZ Buchenwald sind bisher noch nicht aufgetaucht.

Auf dem Gelände des ehemaligen Dortmund-Hörder Hüttenvereins (DHHV), das im Einzugsbereich des Werksgeländes „Phoenix-Ost“ der ehemaligen Thyssen-Krupp Stahl AG – heute Phoenix See Entwicklungsgesellschaft – in Hörde liegt, befand sich von August 1944 bis April 1945 (Kriegsende) ein konzentrationslagerähnliches Straflager der Gestapo, das als „Auffanglager“ bezeichnet worden ist. In wieweit dieser Standort bereits vor dem August 1944 als Lagerstandort oder „Auffanglager Hörde“ deklariert worden ist, ist mangels historischer Quellenbelege noch nicht geklärt. Aufgrund eigener Ermittlungen liegen dem Stadtarchiv über 100 Personeneinträge vor, die in der Zeit von September 1943 bis März 1945 im „Auffanglager Hörde“ bzw. „Straflager D.H.H.V.“ inhaftiert waren. Zumeist handelte es sich dabei zunächst um Ostarbeiter, die aus „politischen Gründen“ inhaftiert worden waren. Erst in der bereits unübersichtlichen Endphase des Krieges, Ende März Anfang April 1945 scheint es zu zahlreichen Ermordungen von Häftlingen – Frauen und Männern – darunter auch deutsche und französische Staatsangehörige, gekommen zu sein.

Das angeführte Lager, das im Gegensatz zu anderen Zwangsarbeiterlagern zunächst den Charakter eines Straflagers, ab 1945 den eines Gefängnisses innehatte, war in einem ehemaligen Luftschutzbunker des Hörder Hüttenwerkes untergebracht. Es war somit unterhalb der Vergüterei, in unmittelbarer Nähe des „Emschertor“, des ehemaligen Werkshaupteinganges an der Hermannstrasse, eingerichtet worden. Das unter der Regie der Gestapo stehende Lager, das laut Angaben in städtischen Hausstandsbüchern ab August 1944 als „Straflager Vergüterei“ bezeichnet wurde, besaß im Verhältnis zu den zahlreichen anderen innerhalb und ausserhalb des Betriebsgeländes des Dortmund-Hörder Hüttenvereins gelegenen Zwangsarbeiterlagern rings um das Emschertor einen Sonderstatus. Die hierhin verbrachten Gefangenen wurden 1944/1945 regelmässig von der Gestapo „selektiert“, was im Klartext soviel bedeutet, dass die Gestapo in Anbetracht der sich zuspitzenden militärischen Situation nur noch zwischen Entlassung oder Exekution der Inhaftierten entschied. Wie viele Personen in dem Zeitraum von Oktober 1944 bis April 1945 diesen Selektionen zum Opfer gefallen und von der Gestapo ermordet worden sind, ist heute nicht mehr fest zustellen. Die Zahl liegt aber mit Sicherheit bei etwa 80 Personen. Wie in der Öffentlichkeit vielfach angenommen, handelte es sich bei dem Straflager jedoch nicht um ein betriebseigenes „Konzentrationslager“, sondern eher um ein exterritoriales Gestapolager innerhalb des Betriebsgeländes des DHHV. Aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geht hervor, dass die Kellerräume des Lagers, ursprünglich als Luftschutzbunker für das Werk gedacht, sowohl als Lager für „Fremdarbeiter“ als auch als „Straflager“ eingerichtet worden waren. Es ist daher davon auszugehen, dass ein Grossteil der Verhafteten, zumindest noch 1944, auch zum Arbeitseinsatz in der Vergüterei, die der Veredelung von Stahlprodukten diente, gezwungen worden ist. War bisher lediglich der Sachverhalt bekannt, dass auf dem Gelände des ehemaligen Hüttenwerkes in Hörde während der NS-Zeit auch Inhaftierungen von Regimegegnern vorgenommen worden sind, so weist eine jüngst erschienene Publikation von Gabriele Lotfi diesbezüglich neue Erkenntnisse auf, die in den noch vorhandenen Akten der Staatsanwaltschaft Dortmund, ihre Bestätigung finden.

In Dortmund-Hörde in der Benninghofer Str. 16, also in nächster Nähe des „Auffanglagers“, befand sich die Gestapo-Leitstelle für den gesamten Regierungsbezirk Arnsberg mit den Aussenstellen in Bochum, Hagen, Hamm, Meschede und Siegen. Im Dienstgebäude der Gestapo befand sich auch das Hausgefängnis. Wilhelm Herzog, selbst Verfolgter des NS-Regimes hat schon früh darauf hingewiesen, dass sich in diesem Gefängnis nur vier Zellen befunden haben. Im Hinblick auf das „Auffanglager“ schrieb er bereits 1968: „Bei Überbelegung wurde in den letzten Kriegsmonaten der frühere Luftschutzkeller als Gewahrsam hinzugenommen. Als auch dieser Raum angesichts der zunehmenden Verhaftungen nicht mehr reichte, wurde in den Kellerräumen der Vergüterei des Dortmund-Hörder-Hüttenwerkes ein Auffanglager eingerichtet. Ein grosser Teil der Gestapo-Gefangenen wurde auch in den Polizeigefängnissen Dortmund, Bochum und Herne untergebracht.“ (W. Herzog, S.84). Weil Dortmund als letzte Stadt des Ruhrgebietes erst am 12. April 1945 von US-Truppen eingenommen wurde, fungierte das “Auffanglager” in Hörde daher für alle Gestapo-Dienststellen im Ruhrgebiet als Sammel- und Rückführungsstätte.

In den Kellerräumen der Vergüterei war je nach Zeitphase eine kaum übersehbare Zahl von Personen verschiedener Nationalitäten, vorwiegend Angehörige der Sowjetunion, darunter Frauen und Männer getrennt, zusammengepfercht. Ende März 1945 waren von Essen aus noch mehr als 100 in- und ausländische Polizeigefangene, ehemalige Arbeitserziehungslagerinsassen sowie aus Gelsenkirchen 21 Deutsche als „politisch Unzuverlässige“ in das Lager nach Dortmund-Hörde verbracht worden, wo sich zu diesem Zeitpunkt bereits 50 russische und polnische Gefangene befanden. Demnach lässt sich die Höchstzahl der im Auffanglager Inhaftierten gegen Ende März 1945 mit 170 Personen beziffern. Aufgrund einer Aussage des Lagerführers „Vergüterei“ bei der Staatsanwaltschaft im Jahre 1950, geht hervor, dass zwischen der Lagerleitung und der Gestapo eine enge Verbindung bestanden hat. Es heisst darin, das Lager betreffend:

„Dieses Straflager auf dem Hörder Hüttenverein befand sich im Keller der Vergüterei. Ich wurde als Lagerführer …eingesetzt. In diesem Lager befanden sich bis auf ganz wenige Ausnahmen ausschliesslich Russen, und zwar Männer und Frauen. Die Belegschaftsstärke wechselte dauernd. Die Höchstzahl war wohl 70 Personen. Unter diesen Personen befanden sich keine Kriegsgefangenen. Es waren Zivilostarbeiter…Die Gefangenen, gegen die eine Stockstrafe festgesetzt wurde, erhielten diese Schläge in einem besonderen Raum des Kellers unter der Vergüterei oder aber in dem vor dem Keller gelegenen Bunker …Bei Auflösung des Lagers Anfang April 1945 befanden sich noch etwa 24 Mann in dem Keller der Vergüterei. Zusammen mit 3 russischen Lagerpolizisten (laut Zeugenaussagen wurden die inhaftierten z.T. von ukrainischen Hilfswilligen bewacht.) habe ich diese 24 Russen im Gestapo-Gebäude in Dortmund-Hörde abgegeben. Was mit ihnen geschehen ist, weiss ich nicht.“ Wie viele Aussagen in den langwierigen Ermittlungsverfahren traf auch diese nur eingeschränkt zu. Gemäss eines der Staatsanwaltschaft Dortmund vorliegendes Berichtes einer internationalen Untersuchungskommission von 1947 (Int.section Hagen) über das Auffanglager Hörde sind am 2. oder 3. April 1945 „36-38 Männer, letzte Gruppe aus Auffanglager, u.a. Johann Berg, Jakob Bink, August Dombrowski, Bernhard Höltmann, Johann König, Karl Briel, Kurt Bruno Ullrich und Andre Mercier“ ermordet worden.

Innerhalb kurzer Zeit trafen laufend Häftlingstransporte aus allen Richtungen des rheinisch-westfälischen Industriegebietes in den Kellern des Auffanglagers ein, zumeist aus „politischen“ wie aus „rassischen“ Haftbegründungen. Auch deutsche „Halbjuden“ befanden sich unter den Gefangenen. Aus den Akten der Staatsanwaltschaft geht nachweislich hervor, dass sich unter einem Essener Gefangenentransport auch zwei Jüdinnen, Frau Julie Risse, geb. Salomon, und Frau Klara Adolph, befunden haben, die in einer „Mischehe“ gelebt und im September 1944 von der Gestapo „übersehen“ worden waren, weil sie nicht als Jüdinnen registriert worden waren. Erst aufgrund einer Denunziation aus der Bevölkerung hatte die Gestapo in Essen am 27. November 1944 Klara Adolph und am 21. Februar 1945 Julie Risse festgenommen. In mindestens zehn Massenexekutionen ermordeten Angehörige der Dortmunder Gestapo-Leitstelle zwischen dem 7. März und dem 9. April 1945 etwa 300 Männer und Frauen, darunter überwiegend ausländische Zwangsarbeiter, aber auch etwa 80 Personen deutscher Staatsangehörigkeit. Am 4. April 1945 – eine Woche vor dem Einmarsch von US-Truppen in Dortmund – waren auch Frau Risse und Frau Adolph aus den Kellern der Vergüterei abgeführt und in das Hausgefängnis der Gestapo (Benninghofer Strasse) gebracht worden. In der Nacht zum 6. April 1945 öffneten sich ihre Gefängniszellentüren für die Exekutionsfahrt in den Rombergpark, wo sie ermordet worden sind. Zahlreiche Häftlinge des Auffanglagers Hüttenwerk sind Opfer der Gestapo-Morde in Bittermark und im Rombergpark geworden. Trotz Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft und der britischen Militärverwaltung, die bereits 1946 einsetzten, konnten nicht alle Einzelheiten der Exekutionen und ihre Beteiligten aufgeklärt werden. Es ist auch heute noch nicht einmal sicher, ob alle Hinrichtungsstätten bekannt sind. Vermutlich endeten die Exekutionen in Dortmund erst, als die letzten Mitarbeiter der Gestapo unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner am 12. April 1945 die Stadt verliessen und sich über das Ausweichquartier Hemer in verschiedene Richtungen absetzten.

Literatur:

Herzog, Wilhelm, Von Potempa bis zum Rombergpark, Dortmund 1968.

Klotzbach, Kurt, Gegen den Nationalsozialismus. Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1930-1945, Hannover 1969
Lotfi, Gabriele, KZ der Gestapo. Arbeitserziehung im Dritten Reich, Stuttgart/München 2000
Müller, Hans, „Wir haben verziehen, aber nicht vergessen…“. Das KZ-Außenlager Buchenwald in Dortmund, Dortmund 1994.
Heimat Dortmund – Zeitschrift des Historischen Vereins für Dortmund und die Grafschaft Mark e.V. Ausgabe 3/2002