Wohnungsnot

Während der Landmann, sofern er wieder daheim war, sofort mit der Bestellung seiner brachliegenden Äcker beginnen konnte, mußte die um ein Drittel verminderte Bevölkerung in Dortmund zunächst einmal daran denken, sich vom Bunkerleben wieder auf häusliche Gemeinschaft umzustellen, wozu bei vielen Tausenden leider das Dach über dem Kopfe fehlte. Dortmunds Häuser und Wohnungen waren durch die vielen Bombenangriffe zu fast 70 v. H. zerstört oder so beschädigt worden, daß ein Wohnen darin unmöglich war.

Im Jahre 1939 waren 144.000 Wohnungen vorhanden, von diesen sind 52.000 Wohnungen völlig zerstört worden;
von den restlichen 92.000 Wohnungen waren:
von 50 bis 75% beschädigt: 17.000,
von 25 bis 50% beschädigt: 13.000
und bis zu 25% beschädigt: 20.000 = 50 000 Wohnungen; so daß im Mai 1945 nur noch 42 000 Wohnungen bewohnbar waren.

Während die Zahl der Wohnungen sich also um 70 v. H. vermindert hatte, war die Einwohnerzahl nur um 40 v. H. gesunken:

Im Jahre 1939 zählte Groß-Dortmund 538.000 Einwohner, davon sind durch Bombenangriffe und Artilleriebeschuß cirka 6.400 Einwohner ums Leben gekommen.

Zur Wehrmacht eingezogen und evakuiert bis zum Zusammenbruch etwa 202.000 Einwohner, so daß also noch 329.600 Einwohner ihren Wohnraum in den 42.000 unbeschädigten Wohnungen teilen oder aber notdürftig in Kellern, Bunkern und Lauben und ähnlichen Quartieren Unterkunft suchen mußten. Diese Zahlen bestätigen deutlich, wie dringlich eine nach scharfen Richtlinien durchgeführte Wohnraumbewirtschaftung erforderlich geworden war.

Das Wohnungsamt Dortmund begnügte sich allerdings nicht damit, nunmehr nur den vorhandenen Wohnraum – so gut es eben ging – gleichmäßig zu verteilen, sondern vor allem immer wieder durch Aufrufe und starke Kontrolle der Zuzüge die evakuierte Bevölkerung vorerst zum Verbleiben an ihrem ländlichen Autenthaltsort zu bewegen. Mancher Bürger hatte sich leider jedoch erst persönlich durch den Anblick der Trümmer von der Unmöglichkeit, noch irgendwie unterzukommen, überzeugen müssen, ehe er resigniert umkehrte.

Am 1. Dezember 1945 gab die Militär-Regierung durch die Verordnung Nr. 16 (Wohnungswechselverbot) die gesetzliche Handhabe, sämtliche Zuzüge und Umzüge zu kontrollieren, damit nicht Bevölkerungsbewegungen innerhalb der Zone an den Schwerpunkten des Wohnungsbedarfs, besonders aber im Industriegebiet, die ständig drohenden Wohnungskatastrophen auslösen könnten. Diese Verordnung behielt bis zum 1. Juli 1947 ihre Gültigkeit und blieb dann in verschiedenen größeren Städten, die zum „Brennpunkt des Wohnungsbedarfs“ erklärt waren, bezüglich des Zuzugsverbots auch in Dortmund bis heute noch bestehen.

Das Wohnungsgesetz des Kontrollrats trat im April 1946 in Kraft und sollte einheitliche Richtlinien für die Verteilung des vorhandenen Wohnraums in ganz Deutschland gewährleisten. Unser Wohnungsamt wollte jedoch nicht nur vorhandenen Wohnraum nach einem bestimmten Belegungsmaßstab an Wohnungssuchende, die sich seit Januar 1946 eintragen lassen konnten, der Reihe nach zuweisen, sondern vor allem zusätzlichen Wohnraum schaffen. Deshalb wurde schon vor 1946 die Wichtigkeit des Wohnungsbaues erkannt und mit allen Vergünstigungen, u. a. durch Zubilligung eines zusätzlichen Wohnzimmers an Aufbauwillige, der Wiederaufbau gefördert. Im Gegensatz zu einigen anderen Städten im Industriegebiet, deren Wohnungsbehörden entsprechend dem Wohnungsgesetz lediglich eine gerechte Verteilung des vorhandenen Wohnraums anstrebten, hatte Dortmund in ganz kurzer Zeit die Zahl der vorhandenen Wohnungen durch Instandsetzungen und Wiederaufbau um 24.000 Wohnungseinheiten bis Juli 1946 vermehren können, obwohl bekanntlich Baumaterial äußerst knapp war und insbesondere durch die schlechte Ernährung die Bauarbeiten sich immer wieder verzögerten. Durch heimgekehrte Kriegsgefangene und nicht vermeidbare Zuzüge, besonders aber auch durch Aufnahme von Ostflüchtlingen hat sich allerdings im gleichen Zeitraum die Bevölkerungszahl auf rund 440 000 sehr rasch erhöht.

Die Zahl der eingetragenen Wohnungssuchenden betrug Ende 1946 rund 9.000 Haushalte, darin 30.000 Personen enthalten waren. Die engen Wohnverhältnisse waren sehr oft Anlaß zu familiären oder nachbarlichen Auseinandersetzungen, besonders zwischen Haupt- und Untermietern, und haben laufend verschiedene Familien veranlaßt, lieber notdürftig in einen Keller, Stall, eine Gartenlaube usw. zu ziehen oder sich in baufälligen Häusern behelfsmäßig einzurichten, nur um wenigstens über eine eigene Behausung verfügen zu können. Deshalb waren die Bemühungen des Wohnungsamtes, solche Elendsquartiere zu beseitigen, zumeist Arbeiten ohne sichtbaren Erfolg und verursachten schließlich, daß selbstverschuldete Elendsunterkünfte nicht mehr so schnell abgeschafft wurden; zudem mußte seitens der Wohnungsbehörden dafür gesorgt werden, daß solche geräumten Notquartiere dann nicht mehr bezugsfähig waren. Eine besondere Belastung des Wohnungsmarktes bildeten die Beschlagnahmen der Besatzungsmacht, die außer sämtlichen Kasernen bis März 1947 allein 1.187 Räume in 120 Wohnhäusern belegt hatte, aus welchen 1.700 Personen anderweitig untergebracht werden mußten.
Bis Ende 1947 war die Zahl der Wohnungssuchenden auf 11.400 Haushalte mit 37.600 Personen angewachsen. Während die Einwohnerzahl sich auf 450.000 Köpfe erhöht hatte, war die Zahl der Wohnungen auf Grund einer genauen Zählung der durch die Landesregierung angeordneten Wohnungskontrolle inzwischen auf 106 700 Wohnungseinheiten mit insgesamt 355.000 Wohnräumen (einschließlich Küchen) angestiegen; allerdings sind diese gezählten Wohnungen im Verhältnis zu 1939 bedeutend kleiner geworden und umfassen durchschnittlich 30 qm Wohnfläche mit ca. 2 Wohnräumen je Wohnung, dagegen 1939 etwa 50 qm Wohnfläche bei drei Wohnräumen je Wohnungseinheit.

Trotzdem verringerten sich die Schwierigkeiten nicht. Das Wohnungsamt hatte Schulen, Krankenhäuser und sonstige öffentliche Gebäude freizumachen, es sollte bestimmte Berufsgattungen durch bevorzugte Unterbringung nach Dortmund ziehen, darunter besonders größere Betriebe zur Belebung des Arbeitsmarktes, sollte u. a. auch 200 aus Schleswig-Holstein umgesiedelte Flüchtlingsfamilien innerhalb kurzer Zeit unterbringen, für die die Landesregierung zum Wiederaufbau von Wohnungen geringe Finanzierungsbeihilfen zugesagt hatte. Allerdings ohne Berücksichtigung der oftmals sehr kurzfristig gestellten Unterbringungstermine, deren Einhaltung zumeist unmöglich war, konnte das Dortmunder Wohnungsamt dennoch sämtlichen Aufgaben gerecht werden.

Ende 1949 waren in Dortmund 495 000 Einwohner angemeldet; die Zahl der Wohnungen war auf 111 700 Wohnungseinheiten mit rund 370 000 Wohnräumen (einschl . Küchen) angewachsen. Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß die Wohnungen seit Kriegsende tatsächlich sehr erheblich aufgelockert wurden, so daß eine Katastrophe infolge der noch bestehenden Wohnungsnot nicht mehr zu befürchten ist. Im Durchschnitt entfallen auf zwei Räume heute nur noch drei Personen, im Gegensatz zu 1945, wo die Belegungsdichte das Doppelte betrug.

Der Währungschnitt gab dem Baumarkt einen erheblichen Aufschwung. Während bis dahin hauptsächlich die Initiative einzelner privater Personen zusätzliche Wohnungen geschaffen hatten, begannen nun auch Siedlungsgenossenschaften und Werke, den Wohnungsbau erheblich stärker zu betreiben. Auch das Bergarbeiterwohnungsprogramm, das zwar schon vorher aus Landesmitteln bezuschußt wurde, erhielt einen derartigen Auftrieb, daß die wohnraumtechnische Frage der Aufnahme weiterer Kräfte für den Bergbau keine Schwierigkeiten mehr bereitete. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung stieg leider auch die Zahl der eingetragenen Wohnungssuchenden; Ende 1948 wurden 13 200 eingetragene wohnungssuchende Haushalte mit zusammen 43600 Personen gezählt. Durch Einschaltung in die Vermittlung des freiwilligen Wohnungstausches, an der bis dahin private Unternehmungen eine sehr ergiebige Erwerbsquelle besaßen, hat das Wohnungsamt inzwischen verschiedene Wohnungssuchende, denen eine ausreichende Tauschwohnung gegen ihre kleinere oder auswärtige Wohnung zugewiesen werden konnte, zufriedengestellt; auch manche zur Räumung gerichtlich verurteilte Familien konnten auf Grund eines Wohnungstausches aus der strittigen Wohnung herausgenommen werden.

57 000 wohnungssuchende Haushalte mit zusammen 161 000 Personen wurden seit 1946 insgesamt beim Wohnungsamt vorgemerkt. Von diesen konnten durch Zuweisungen in rund 40 300 Wohnungen mit 80 000 Räumen 106 000 Personen ausreichend untergebracht werden, so daß Ende 1949 55 000 Personen in 16 700 Haushalten noch in der Kartei für Wohnungssuchende eingetragen waren.

Nur durch noch stärkere Förderung und Unterstützung des Wohnungsbaues, wobei auch Dortmund mit größeren Zuwendungen aus Bundesmitteln rechnet, soll der Wohnraumanspruch dieser Wohnungssuchenden so rasch wie möglich befriedigt werden. Während im Jahre 1949 über 4200 Aufbauwohnungen zugewiesen werden konnten, ist für 1950 der Aufbau von über 6000 neuen Wohnungen gelungen. Das Fundament jeder vernünftigen Demokratie liegt in seinen Zellen, nämlich den einzelnen Familien, begründet, und diese können sich nur erhalten und nur gedeihen, wenn für jede ausreichender und eigener Wohnraum vorhanden ist. Während vor dem Krieg ungefähr 15 qm Wohnfläche auf den Kopf der Dortmunder Bevölkerung entfielen, nach der Kapitulation etwa 5 qm, sind es z. Z. schon wieder fast 10 qm Wohnfläche (unter Einbeziehung der Küchenfläche) je Einwohner. Daß die Zahl der Wohnungssuchenden noch immer ansteigen wird, ist durch das ständige Wachsen der Einwohnerzahl ohne weiteres zu erwarten; dazu ist außerdem der Anspruch auf Beschaffenheit und Größe der Wohnung bei bestimmten Bevölkerungsschichten im Verhältnis zu der Zeit kurz nach dem Zusammenbruch sehr gestiegen. Jedoch wurde durch die Auflockerung der Belegungsdichte in Dortmund, besonders aber durch Beseitigung der schlimmsten Notunterkünfte, die Wohnungsnot erheblich gelindert.

Je mehr Mittel für den Wohnungsbau zur Verfügung stehen werden, desto schneller ist mit weiteren Lockerungen der Wohnraumbewirtschaftung zu rechnen. Aber auf keinen Fall wird in Dortmund daran gedacht, die Sicherstellung der wohnungsmäßigen Unterbringung seiner Einwohner eher zu beenden, bis endgültig die Wohnungsnot in etwa beseitigt sein wird.

Quelle: Von der toten zur lebendigen Stadt