Schutzräume als Sonderbauten

Alle bisher besprochenen Schutzräume können ohne weiteres von Selbstschutzkräften unter Anleitung von Fachleuten gebaut werden. Außer der Abstützung durch Holz ist auch ein Ausbau der Stollen mittels Stahls oder Eisenbetons vorgegeschlagen worden. Die Ausführung dieser Schutzräume muss dem Baufachmann überlassen bleiben, doch werden die ungelernten Kräfte des Selbstschutzes zu den Bauarbeiten oft herangezogen. Alle diese Stollen erhalten eine ebenso vollständige Einrichtung wie Schutzräume, die im Keller eines Hauses liegen.

Die im folgenden behandelten Schutzräume werden durchweg künstlich belüftet. Ein Luftförderer, der “Schutzraumbelüfter”, saugt die unter Umständen mit Kampfstoffen vergiftete Außenluft an, reinigt sie in einem Filter wie in einer Gasmaske und drückt sie in den Raum. Bild 11. So erhalten die Insassen des Raumes dauerhaft frische Atemluft.

Im Bergbau werden schon seit Jahren Stahllamellen zum Ausbau verwendet. Neuerdings sind derartige Stahllamellen auch zum Bau von Schutzräumen benutzt worden. (Bild 10 – 12).

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Die Sirene_15_1936_005Zuerst wird ein Baugraben ausgehoben. Auf der Sohle dieses Grabens wird eine Betonplatte hergstellt, und auf der Betonplatte werden die Stahlblecke zusammengebaut (Bild 10). Nachdem alle Lamellen aneinandergesetzt sind, wird das Erdreich wieder zugeschüttet, und der Schutzraum ist fertig. Das verhältnismäßig dünne Stahlblech mit der Erdaufschüttung genügt vollkommen den Anforderungen, die an einen Schutzraum gestellt sind.

Bild 13 zeigt das Innere eines Schutzraums aus verzinkten Wellblech. Ein derartiger Schutzraum kann auch oberirdisch gebaut werden. Das Wellblechrohr wird dann mit Erdreich, Steinen oder dergleichen zugedeckt und damit gleichsam ein künstlicher Hügel über den Schutzraum geschaffen.

Besonders günstig ist es, einen Schutzraum am Rande einer Halde zu bauen. Die Bauarbeiten können über der Erdoberfläche erfolgen. Mit dem Wachsen der Halde wird der Schutzraum dann allmählich zugeschüttet. Von einem Hauptstollen aus Wellblech zweigen Nebenstollen ab. (Bild 14)Die Sirene_15_1936_004

Die Schutzraumbauweise aus Wellblech ist besonders wegen der niedrigen Baukosten bemerkenswert. In einzelnen Fällen war die Anlage eines Stollens billiger als der Ausbau von Kellern zu Schutzräumen. Ein Teil der Bauarbeiten kann auch durch ungelernte Kräfte erfolgen, so daß der Selbstschutz auch an der Fertigstellung dieser Schutzräume mitarbeiten wird.

Spundbohlen sind kräftige Stahlblechtafeln, die an den Kanten innig miteinander verbunden sind. Spundbohlen wurden bisher im Wasserbau und Hochbau verwendet. Sie dienen zu Gründungsarbeiten, Grundwassersenkungen und dergleichen. Neuerdings werden Spundbohlen auch zum Schutzraumbau verwendet.

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Die einzelnen Stahlblechtafeln werden in den Boden gerammt. (Bild 15); sie schließen dicht ineinander, so daß weder Wasser noch Kampfstoff in das Innere eindringen kann. Hierauf wird das zwischen den Stahlwänden liegende Erdreich ausgeschachtet. Ein Fußboden aus Beton wird verlegt und eine waagerecht liegende Bohlenwand als Decke eingezogen.

Bild 16 + 17 zeigend das Innere von Schutzräumen aus Stahlspundbohlen in verschiedener Ausführung. An den Wänden stehen Bänke.

Zwischen den Bänken bleibt genügend Raum, um einen Mann durchgehen zu lassen. Die glatte Stahlwand gibt den Schutzsuchenden ein Gefühl der Sicherheit, welches wegen der hohen Widerstandsfähigkeit dieses Schutzraumes gegen Splitter und Trümmer auch berechtigt ist.

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Die Dortmunder Firma Hoesch fertigte bereits seit 1902 U-förmige Larssen-Spundwandbohle, die besonders im Kanal- und Hafenbau verwendet wurde.

Das Unternehmen gehörte ursprünglich zur Dortmunder Union.

Die Sirene_15_1936_011Bemerkenswert ist der Grundriss solcher Stollenschutzräume. (Bild 18)

Der Schutzraum bildet ein langgestrecktes Rechteck.

Die Eingänge in den Schutzraum müssen immer über Eck angelegt werden, damit Trümmer und Splitter von Sprengbomben, die in der Nähe des Eingangs zerknallen, nicht in den Schutzraum durchschlagen. Auf den Eingang folgt ein kleiner Vorraum, die so genannte “Vorschleuse”, und auf diese die Gasschleuse. Am Ende des Schutzraumes liegt ein Notausstieg. Bei Verschüttung des Eingangs kann der Schutzraum durch den Notausstieg geräumt werden.

Die Sirene_15_1936_010Dann aber nicht nur 1,50 m Erdüberdeckung, sondern mindestens 4,oo m, wie auf Bild 15 dargestellt, da sonst die Wirkung eines einschlagenden Geschosses wegen der unzureichenden Decke eher größer als kleiner wird!

In manchen Fällen ist es erforderlich, Schutzräume für nur wenige Mann zu bauen.
So sollen z.B. Streckenwärter oder Eisenbahnangestellte, die auf der freien Strecke arbeiten, während eines Luftangriffes möglichst einfach geschützt werden. Das einfachste ist ein tiefes Erdloch, welches einige Mann aufzunehmen imstande ist.

Die Schutzsuchenden müssen darin Gasmasken tragen.

Genau so war auch im Weltkrieg der Granattrichter der einfachste Schutzraum.

Wird dieses Erdloch etwas ausgebaut und oben gasdicht verschlossen, so erhält man die einfachste Art des freistehenden Einzelschutzraumes.

Derartige Einzelschutzräume werden nicht nur unter der Erde gebaut, sondern auch oberirdisch verwendet. Besonders im Ausland haben diese “Schutzzellen”, so nennt man auch die oberirdischen Einzelschutzräume, große Verbreitung gefunden. Der französische Luftschutzbund verleiht an die Zivilbevölkerung Formen aus Stahlblech, mit denen die Hausbewohner sich selbst Schutzräume herstellen. Bild 19 + 20.

Zwischen die Blechformen wird Beton eingegossen. Nach einer bestimmten Zeit, die dazu dient, den Beton erhärten zu lassen, werden die Blechformen entfernt und der Schutzraum ist fertig. Derartige Schutzzellen werden in Frankreich auf den Höfen und Straßen aufgestellt, wo der Kellerraum zur Unterbringung der Bewohner nicht ausreicht. Die Zelle besitzt eine gasdichte Tür.

In Deutschland wird diese Art des Schutzes für die Zivilbevölkerung im allgemeinen abgelehnt. Die Betonzelle ist zwar dicht gegen Gas und schützt auch bis zu einem gewissen Grad gegen Splitter. Stürzen aber die umliegenden Häuser auf die im Hofe stehenden Betonzelle, so wird es für die Insassen kaum möglich sein, sich aus dem SChutthaufen zu befreien.

Die Sirene_15_1936_013Die Sirene_15_1936_007

Ein Schutzraum im Keller ist diesen Schutzzellen bei weitem vorzuziehen. Die große Verbreitung des Einzelschutzraumes im Ausland – sie werden nicht nur in Frankreich, sondern auch in Belgien und Italien gebaut – beruht wohl auf einer Überschätzung der Kamfstoffgefahr.

In Deutschland werden freistehende Schutzzellen nur in folgenden zwei Ausnahmefällen angewendet. Einmal ist es für ein Industriewerk erforderlich, einige Mann der Belegschaft auch während des Luftangriffes an ihrer Arbeitsstätte zu lassen. Wichtige Maschinen, Schalttafeln usw. müssen überwacht werden und dürfen auch im Augenblick höchster Gefahr nicht ohne Bedienung bleiben. Bild 21 + 21a. Sie werden im Dachgeschoss oben auf einem Treppenabsatz aufgestellt und schützen die Hausfeuerwehr vor Trümmern und Splittern.

Während in Deutschland großer Wert darauf gelegt wird, den Schutzraum immer unter die Erde zu verlegen, baut das Ausland auch Schutzräume, die über der Erdoberfläche leigen. So empfiehlt z. B. die französische Luftschutzvorschrift den Bau überirdische Betonstollen, wenn ein Boden durch Grundwasser den Bau unterirdischer Schutzräume erschwert.

Schutzräume wie sie Bild 22 darstellt, sind in Frankreich und Belgien vielfach in Fabriken gebaut worden. Auf große Schwierigkeiten stieß der Bau von Schutzräumen in solchen Fällen, in denen ein Baugraben nicht ausgehoben werden konnte. Soll der Schutzraum unter einer verkehrsreichen Straße oder unter einem Platz liegen, so ist es oft nicht möglich, einen Graben auszuheben, in dem der Schutzraum angelegt werden kann.

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Für diese besonders schwierigen Fälle des Schutzraumbaus sind Bauweisen entwickelt worden, bei denen die Erfahrungen des Bergbaues für den Luftschutz ausgewertet wurden. (Bild 23). Genau so wie im Bergwerk wird ein Stollen unter der Erde allmählich vorgetrieben, ohne daß dadurch der Verkehr an der Oberfläche gestört wird. Das Erdreich wird von Stahlbögen getragen. Der Zwischenraum zwischen den Stahlbögen wird ausgemauert oder betoniert. Derartige Schutzräume (Bild 24 + 25) sind z. B. in Eisenbahndämme hineingebaut worden, ohne daß der Verkehr der Bahn irgendwie beeinträchtigt wurde.

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Quelle Text und Bilder: Die Sirene, Nr. 15, Juliheft (2) 1936; Textabschrift und Übersetzung: Kai Ohlenbostel