Verhalten auf der Straße beim Luftangriff

a) Die Luftgefahr in städtischen Verkehrszentren

Luftangriffe müssen zu den verschiedensten Stunden des Tages oder der Nacht erwartet werden. Man hat aus diesem Grunde damit zu rechnen, dass häufig ein Luftangriff zu Zeiten einsetzt, in denen auf den Straßen der Städte ein mehr oder minder lebhafter Verkehr herrscht. Der Schutz gegen die Gefahren eines Luftangriffes muss sich daher nach Möglichkeit auch auf diejenigen Personen erstrecken, die sich bei Fliegeralarm bzw. bei Beginn eines Luftangriffes nicht in ihren Wohnungen oder Arbeitsstätten, sondern auf der Straße befinden.

Es liegt auf der Hand, dass für die Straßenpassanten sich in den meisten Fällen ein Schutz nicht mit so hohem sicherem Wirkungsgrade gewährleisten lassen kann, wie das für Personen in Wohnhäusern, Fabriken oder anderen Gewerbebetrieben möglich sein wird. Trotzdem werden die dafür zuständigen Stellen bei der Anlage öffentlicher Sammelschutzräume naturgemäß die verschiedenartige normale Verkehrsdichte in den betreffenden Bezirken zu berücksichtigen haben. Praktisch bedeutet das, dass etwa in dem Hauptgeschäftsviertel einer Stadt ein größerer Bedarf an Sammelschutzräumen für Straßenpassanten vorliegt, als in einem reinen Wohnviertel, in dem der Verkehr niemals so stark ist.

b) Verhalten von Fußgängern

Für das Verhalten des einzelnen Straßenpassanten bei Fliegeralarm muss stets die Überlegung maßgebend sein, dass zwischen dem Ertönen des Alarmsignals und dem Beginn des Fliegerangriffs normalerweise eine Zeitspanne von zehn bis fünfzehn Minuten liegen wird. Das Ertönen der Alarmzeichen darf deshalb unter keinen Umständen Anlass zu einer Panik bilden.

Jeder Straßenpassant, der sich bei Fliegeralarm in der Nähe seiner Wohnung befindet, d. h. also in einer Entfernung von nicht mehr als fünfzehn Minuten, muss unter allen Umständen so schnell wie möglich seine Wohnung bzw. den Schutzraum seines Hauses aufsuchen.

Er hat das auch dann zu tun, wenn er sich in unmittelbarer Nähe eines ihm bekannten öffentlichen Sammelschutzraumes befindet. Die Sammelschutzräume können und dürfen grundsätzlich nur von den Straßenpassanten aufgesucht werden, die zu weit von ihren eigenen Wohnungen oder Arbeitsplätzen entfernt sind, um dort Schutz finden zu können. Diese Überlegung wird sofort verständlich, wenn man sich daran erinnert, dass jeder Schutzraum nur einer beschränkten Zahl von Personen Schutz gewähren kann und dass ja auch jeder Luftschutzhauswart bei dem ihm anvertrauten Luftschutzraum dafür zu sorgen hat, dass keine Überbelegung eintritt. Wir haben uns daran zu erinnern, dass es unter Umständen die harte Pflicht des Luftschutzhauswartes oder seines Stellvertreters ist, Schutz suchende Personen, die nicht zur Hausgemeinschaft gehören, vom Betreten des Schutzraumes zurückzuhalten, wenn dadurch eine Gefährdung der zur Hausgemeinschaft gehörenden Personen zu befürchten ist.

c) Verhalten von Fahrzeugen und Kraftfahrzeugen

Ebenso wie für Fußgänger muss für Fahrer und Passagiere von Fuhrwerken und Kraftfahrzeugen der Grundsatz gelten, dass sie für ihre Person in der Zeitspanne zwischen Beginn des Fliegeralarmes und Einsetzen des Luftangriffes nach Möglichkeit die für sie zuständigen Schutzräume ihrer Wohnhäuser oder Arbeitsstätten erreichen, um eine Überbelegung der öffentlichen Sammelschutzräume zu vermeiden.

Dazu ist es erforderlich, dass der ordnungsmäßige Straßenverkehr, besonders in Großstädten, unter Umständen jedoch auch grade in kleineren Orten mit ihren häufig engen und winkligen Straßen möglichst lange aufrechterhalten wird.

Bei der zur Verfügung stehenden Zeitspanne zwischen Fliegeralarm und Einsetzen des Luftangriffes wird zumeist ein sehr hoher Prozentsatz der Fuhrwerke und Fahrzeuge – insbesondere jedoch die meisten Kraftfahrzeuge – dadurch von der Straße zu entfernen sein, dass sie die für sie zuständigen Garagen und Stallungen noch erreichen können.

Bei der Abwicklung dieses letzten Straßenverkehrs vor dem Einsetzen des Fliegerangriffs ist Innehaltung strengster Verkehrsdisziplin unbedingte Notwendigkeit.

Es geht ganz besonders in den Verkehrszentren der Städte unter keinen Umständen an, dass etwa Fahrzeuge nach dem Grundsatz „Rette sich, wer kann!“ unter Nichtbeachtung der üblichen Verkehrsvorschriften ihre Garagen oder Stallungen zu erreichen suchen.

Würde das eintreten, so wäre wahrscheinlich in ganz wenigen Minuten eine völlige Verkehrsverstopfung die Folge, und das grade Gegenteil der gewünschten Wirkung, nämlich die Freimachung der Straßen von möglichst vielen Fahrzeugen jeder Art, würde eintreten.

Fahrzeuge und Fuhrwerke, die ihre Garagen oder Stallungen in der zur Verfügung stehenden Zeitspanne zwischen Fliegeralarm und Beginn des Fliegerangriffs nicht mehr erreichen können, fahren sofort scharf rechts an die Häuserfronten heran und halten dort. Fahrer und eventuelle Passagiere suchen ebenso wie die anderen Straßenpassanten den nächsten erreichbaren öffentlichen Luftschutzraum auf.

d) Öffentliche Sammelschutzräume

Straßenpassanten, die die für sie zuständigen Schutzräume in ihren Wohnungen oder an ihren Arbeitsstätten in der zwischen Fliegeralarm und Einsetzen des Luftangriffs zur Verfügung stehenden Zeitspanne nicht mehr erreichen können, suchen den nächsten für sie erreichbaren öffentlichen Sammelschutzraum auf, dessen Lage nach Aufruf des Luftschutzes durch Presse, Rundfunk usw. für die einzelnen wichtigen Verkehrsgegenden jeder Stadt immer wieder bekannt zu geben ist. Nach Aufruf des Luftschutzes sollte jeder Volksgenosse, der sich auf die Straße begibt, darüber unterrichtet sein, wo die an seinem Wege befindlichen öffentlichen Sammelschutzräume liegen.
Im öffentlichen Sammelschutzraum haben sich die Schutzsuchenden genau wie in den Schutzräumen ihrer Wohnhäuser oder ihrer Arbeitsstätten streng nach den Weisungen des für diesen öffentlichen Schutzraum zuständigen Schutzwartes oder seines Vertreters zu richten. Das Verlassen des Schutzraumes ohne ausdrückliche Erlaubnis des Schutzwartes ist unter allen Umständen verboten.

e) Wagenpferde beim Luftangriff

Bei Pferdefahrzeugen aller Art ist darauf zu achten, dass die Pferde vom Kutscher unter allen Umständen am nächsten erreichbaren Laternenpfahl oder stärkeren Straßenbaum so fest angebunden werden, dass sie auf keinen Fall wie wild auf der Straße herumlaufen können, falls sie durch Detonation irgendwelcher Art scheuen.

f) Straße frei für den Luftschutz!

Die grundsätzliche Überlegung bei all diesen Maßnahmen muss die sein, dass nach der Räumung der Straßen von Passanten die Straßen selbst unter allen Umständen so frei sind, dass Feuerwehrfahrzeuge, Fachtrupps des Luftschutzes usw. schnell und unbehindert an die Stellen gelangen können, an denen ihr Einsatz erforderlich ist. Man stelle sich einmal vor, welche katastrophalen Folgen es haben müsste, wenn etwa grade in den sonstigen Hauptverkehrsstraßen überall wirre Haufen von verlassenen Fahrzeugen mitten auf der Straße stehen, so dass Feuerwehrfahrzeuge usw. gezwungen wären, große Umwege zu machen, um an Brandstellen oder zu eingestürzten Häusern zu gelangen.

Die hier kurz angedeuteten Maßnahmen sind also in ihrer Gesamtheit Vorkehrungen, die ebenso wie jede andere Selbstschutzmaßnahme im Luftschutz dem Wohle und dem Schutze der Allgemeinheit dienen. Wer als Straßenpassant oder als Fahrer oder Passagier eines auf der Straße befindlichen Fahrzeugs vom Fliegeralarm überrascht wird, hat genau so und mit ebensolcher Ruhe und Überlegung seine Pflichten zu erfüllen, als wenn er sich in seiner Wohnung oder an seiner Arbeitsstätte befände. Die Straße ist für das reibungslose Funktionieren der Luftschutzmaßnahmen von größter Wichtigkeit, und das Verhalten der Straßenpassanten und Wegebenutzer aller Art hat deshalb ebenfalls eine nicht zu unterschätzende allgemeine Bedeutung.

Es liegt auf der Hand, dass die hier gegebenen Verhaltensrichtlinien nur allgemeine Richtlinien darstellen können, die das Thema des Verhaltens auf der Straße bei Fliegeralarm und Luftangriff nicht zu erschöpfen vermögen.

Quelle: Die Sirene – 1934; Heft 16